Klaus Minges


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Die Stimmen der Philister

"Das schaffst du nie, als Europäer da Fuss zu fassen."

Der Vorsitzende der Cape Town Tourguide Association hat anderthalb Stunden Zeit für mich, beantwortet drei Dutzend Fragen und gibt ähnlich viele ungefragte Tips. Wie er meine Chancen sehe, hier im Land als Reiseleiter einzusteigen? Doch, gut. Naja, er wisse schon auch von einem Kollegen, dem die Operators keine Führungen mehr geben. "Der stieg im Wildreservat über einen defekten Zaun, um die Löwen besser zu sehen, und wollte, dass die Gruppe mitkommt. Sowas sollte man nicht tun, das spricht sich rum." Wie ich mich positionieren könne, um möglichst niemand Konkurrenz zu machen? "Ach wissen Sie, wir sind eigentlich alle ganz froh, wenn wir weniger arbeiten müssen."

"Sei vorsichtig, du kennst deren Tricks nicht."

In der Innenstadt pflege ich Sammeltaxis zu benutzen, in denen Weiße sonst selten gesehen werden. Das sind Kleinbusse, wo eine Fahrt 2 bis 5 Rand kostet (0,2 bis 0,5 €). (NB. Vom Flughafen in die Stadt kostet es, bei nur dreifacher Fahrzeit, über 100 Rand.) Die Fahrgäste geben nach der Abfahrt selbständig ihr Fahrgeld nach vorne; wer auf dem Beifahrersitz gelandet ist, sammelt das Wechselgeld und gibt die Summe dem Fahrer. Ich reiche also wie alle mein Geld durch. Eine junge Frau sammelt, zählt, wundert sich, zählt nochmal Köpfe und Geld. Darauf beginnt ein gewaltiges Feilschen im Bus (sie sprechen Xhosa, ich verstehe kein Wort), bis schließlich jemand auf mich zeigt. Die Frau gibt mir mit steinernem Blick einen halben Rand zurück - ich hatte zuviel bezahlt. Die anderen schauen wieder teilnahmslos aus dem Fenster, kein Thema ...

"Da werden doch ständig Leute ausgeraubt."

Schwerpunktthema in der Cape Times war kürzlich der neue Trend des Car-Hijackings. Autos werden nicht mehr mühsam bei Nacht und Nebel aufgebrochen, wenn Alarm, Getriebeschloß und sonstige Immobilizer zu überwinden wären. Eleganter ist es, dem Fahrer beim Ein- oder Aussteigen die Knarre unter die Nase zu halten, die Schlüssel abzunehmen und ihm dann den Auspuff zu zeigen. Selbst erlebt habe ich einen Blockadeversuch mit Steinbrocken auf der nächtlichen Fahrbahn, kurz dahinter ein Auto mit drei dunklen Gestalten. Stümperhaft: Mit Vollgas und hoher Bodenfreiheit hat mein Bergfreund damals diese Klippe umschifft. Trotzdem fährt man besser nicht nachts auf unbeleuchteten Strassen oder über die bekannten Hotspots. In der Innenstadt ist das Risiko dank flächendeckender Kamera-Überwachung und zahlreicher Patrouillen klein. Und: Betroffen vom Hijacking sind in 8 von 10 Fällen die dicken deutschen Limousinen - ein schlagendes, nein: schiessendes Argument gegen den alten Zille-Spruch "Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr."

"Trau dich ja nicht in die schwarzen Vorstädte."

In den Inseraten suche ich einen klimatisierten VW-Bus und finde ihn nach ein paar Telefonaten im Township Mitchells Plain, wo die verrufensten Slums liegen.
"Kann ich am Sonntag kommen?"
"OK, aber erst nach der Kirche."
Ich fahre hin und finde innerhalb eines Ringes von Verschlägen aus Wellblech und Pappe propere Wohnviertel mit gar nicht so winzigen Häuschen, alle mit Vorgarten, oft auch mit Garage. Der Hausherr begrüßt mich in Anzug und Krawatte. Der Bus sei leider noch nicht da, sein Schwiegersohn sei unterwegs. Also warten wir im Wohnzimmer - so etwas wie Gelsenkirchener Barock, mit Fernseher und Video, Kinderfotos und frommen Wünschen. Wir unterhalten uns zwei Stunden über Tod und Teufel, pardon: Gott und die Welt, vor allem über das Tagesereignis: die Predigt eines zambischen Priesters im Stadion, vor 80'000 Gläubigen. Ausserdem über Paraffinöfen und Vulkanismus, über die deutsche Bundesliga und natürlich die Kriminalität. Ob ich keine Angst hätte, hierher zu kommen? Nein, es ist ja hell, die Straßen bevölkert, mein Leihwagen alt.
Gegenfrage: "Wird in so ein Haus nicht eingebrochen?"
"In der Regel schon, aber vor mir haben sie Respekt, ich bin der Pastor."

"Den Lebensstandard der Schweiz wirst du dort nicht finden."

Schlemmerei hat in Südafrika tatsächlich keine Tradition, Käse z.B. haben die Buren hauptsächlich für die Mausefalle hergestellt. Dennoch fand soeben auf einem alten Weingut das erste Käse-Festival Südafrikas statt. Mein amerikanischer Begleiter war begeistert: "Das hab' ich ja noch nie gesehen. Die Leute fahren meilenweit für nichts als Käse ..." Ich war erfreut, neben südafrikanischen Eigenprodukten und Plagiaten auch die bekanntesten französischen Provenienzen und, tatsächlich, Original-Gruyère aus der Schweiz zu finden!

Und natürlich Wein: Die Qualitäten halten fast jeden Vergleich aus. Für einen qualitativ konkurrenzfähigen Rebbau hat das Jahrzehnt seit der Öffnung nur knapp gereicht (die Buren haben Weinbau so extensiv wie Ackerbau betrieben). Önologen in Stellenbosch forschen noch, welches Terroir für welche Rebsorte ideal ist. Und dann muss man erstmal die Obstbauern von den guten Lagen vergraulen. Das spannende Thema der nächsten Jahre wird sein, wie man hier jene Eigenständigkeit entwickelt, die einem geschmacklichen Landes-Charakter gleichkommt.


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