Klaus Minges, Dr. phil. |
![]() |
Das Sammlungswesen der frühen Neuzeit In der Arbeit werden grundlegende Strukturen und geistesgeschichtlicher Hintergrund der europäischen Sammlungen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert untersucht. Als Triebkraft, eine Sammlung anzulegen, erweist sich neben der nachmittelalterlichen Tendenz zur Visualisierung philosophischer Ideen das Prinzip des Paragone, d.h. das Bestreben, Objekte durch Gegenüberstellung mit anderen in ihrer Eigenart zu erfassen und einer Hierarchie zuzuordnen. Der Wettstreit um den Vorrang von Malerei und Skulptur ist nur ein Aspekt dieses Prinzips. Die Ordnungskriterien,
die sich daraus entwickeln, folgten auch in der Renaissance
dem ordo-Gedanken der mittelalterlichen Philosophie. Die erste
theoretische Abhandlung über Kunstkammern von Samuel Quiccheberg (1565)
blieb der Wissenschaft bisher ein Rätsel. Sein Klassensystem wird
als komplizierte Verknüpfung von Elementen aus planetarischem und
irdischem Kosmos sowie den Artes liberales und mechanicae
entschlüsselt. Die Sammlung sollte damit nicht, wie bisher angenommen,
das Land des Besitzers beschreiben, sondern mit der üblichen frühneuzeitlichen
Paradigmenvielfalt den Makrokosmos abbilden. Änderungen im Sammlungsgefüge sind zu allen Zeiten Indizien für Wandlungen im Weltbild ihrer Besitzer. Von der Basis dieser Erkenntnis und von weiteren erhaltenen Sach- und Schriftquellen ausgehend wird versucht, die Einflüsse von Kunst, Literatur und Philosophie auf den Sammlungsgedanken bis zum Einsetzen des Historismus zu verfolgen. Der Mikrokosmos
beschrieb keineswegs nur ein Denkmodell, sondern fand außer im Sammlungsbestand
auch in der Architektur der Kunstkammer seinen konkreten Niederschlag:
Das Theatrum wurde zum programmatisch gestalteten Zentralraum,
während die Galerie als Wandelgang bis zum Ende des 17. Jh. meist
den Platz für wandfeste Freskenzyklen und Antiken stellte. Der Ort
der enzyklopädischen Sammlung blieb in der Regel die schlichte Kabinettreihe
der Kunstkammer. Die Uffizien in Florenz repräsentieren die
Synthese dieser drei Formen von Sammlungsarchitektur. Im
17. Jh. bewirkte das mechanistische Weltbild als Folge der
kartesianischen Philosophie einen Bedeutungsverlust des Mikrokosmos.
Die Trennung von Kunst und Natur zerstörte die bisherigen Ordnungen;
die universale Sammlung hatte als Ort philosophischer Betrachtungen
ausgedient. Daraus folgte zunehmendes Unverständnis fortschrittlicher
Kreise, welche die Kunstkammern als Anhäufungen nutzloser Monstrositäten
apostrophierten. In den an der akademischen Wissenschaftstheorie orientierten
Sammlungen nahm man nun eine Auftrennung der Sammlungsbereiche
vor: Naturalien und technische Instrumente dienten den neuen Wissenschaften,
Antiquitäten der klassizistischen Geschichtsbetrachtung und die Kunst
der Repräsentation. Die Kunstkammer blieb als Sammlungstyp nur in
katholischen oder okkultistischen Kreisen erhalten, wo geschlossenes
Weltbild und Mikrokosmos-Gedanke bis ins 18. Jahrhundert gepflegt
wurden. Veränderte
Gestalt und Aufgabe der Kollektionen im 17. Jh. erfordern die
Beschränkung der weiteren Untersuchungen auf Gemäldesammlungen,
da diese sich zum wichtigsten Spiegel akademischer Theorien entwickelten.
Man ordnete hierarchisch nach Schulen, Bildgattungen oder den Bewertungskriterien
Komposition, Zeichnung, Ausdruck und Kolorit. Die alten Prinzipien
des Vergleichs und der hierarchischen Ordnung fanden jetzt eine differenzierte
und präzise Anwendung. Die Aufklärung weckte Bestrebungen, Sammlungen zum Nutzen eines erweiterten Publikums zu institutionalisieren, wobei die Kunstgalerien ihre akademische Prägung verloren. Die Präsentation der Gemälde orientierte sich im 18. Jahrhundert überwiegend an dekorativen Richtlinien; und ohne die hierarchische Ordnung entstand die flächendeckende "Bildertapete". Das Prinzip des Vergleichs wich der sensualistischen Rezeption einzelner Werke. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ist die Tendenz zu beobachten, Kunstsammlungen in Konkurrenz zur wandfesten Raumausstattung als Mittel der Repräsentation einzusetzen. Der
Zeremonialweg des Alcázar in Madrid steht am Anfang der Entwicklung
zur barocken Kunstgalerie. Dort ist auch erstmals die Praxis faßbar,
mittels der gesammelten Kunstwerke ein Programm zu gestalten. Das
letzte große Beispiel dieser vormusealen Präsentationsform, die Villa
Albani in Rom, bot Winckelmann die Gelegenheit zur Verifizierung
seiner Idee der Kunstbetrachtung unter historischen Gesichtspunkten.
Er verbreitete durch seine "Geschichte der Kunst des Altertums" die
Ideen der Frühaufklärung: Betonung des künstlerischen Werts der Kunstwerke
und Verständnis ihrer historischen Bedingtheit. Die heute gültige wissenschaftliche Systematik aber geht nicht auf Winckelmann zurück, sondern entstammt den Graphiksammlungen der Frühaufklärung. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. entstand die historisch-geographische Ordnung, die Christian von Mechel im Wiener Belvedere erstmals konsequent praktizierte. Aufklärung und Romantik veränderten das fundamentale Prinzip der frühneuzeitlichen Kunstrezeption, den Paragone. Der direkte Vergleich grundsätzlich verschiedener Werke verbot sich nun, womit die Bildertapete ihren ursprünglichen Sinn verlor. Wiederum sorgte mangelndes Verständnis überkommener Ordnungskriterien für Kritik an den barocken Präsentationsformen zugunsten des Museums, das seine Entstehung zunächst utilitaristischen Zielen, vor allem aber dem neuen Bildungsideal und dem national geprägten Historismus verdankt. Zusammenfassung als pdf Die Dissertation wurde 1993 "magna cum laude" angenommen. Erschienen als Band 3 der Reihe "Museen - Geschichte und Gegenwart", Lit-Verlag Münster 1998 (vergriffen) Leseprobe: Das Einhorn (pdf) Rezensionen: Franz
Zelger, Sammeln
in der frühen Neuzeit (Neue
Zürcher Zeitung 8.9.1998, S. 47) Klaus Minges, Rezension zu Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben Klaus Minges, Anmerkungen zu "Antikensehnsucht und Maschinenglauben" (Kunstchronik 4/1994) |
![]() |
Index | Porträt | News | ||
![]() |
Klaus Minges · Mail: klaus@minges.ch · Web: www.minges.ch |
![]() |