Die Rezension zu Bredekamps tour de force durch die Sammlungs- und
Geistesgeschichte der frühen Neuzeit entwickelt dessen Schlußfolgerungen
zu einer anregenden kunstphilosophischen Überschau. Mit der Reflexion
der Thesen ohne Prüfung ihrer Grundlagen redet Wyss allerdings einer
freischwebenden Ideengeschichte das Wort, die nicht unkommentiert
bleiben darf, denn für eine "Pflichtlektüre der Museologie" hat das
Buch zu viele gravierende Unzulänglichkeiten.
Die von
Bredekamp beschriebene Sehnsucht nach Automation und künstlicher Lebendigkeit,
von Wyss bis zu den virtuellen Erlebnisräumen der Unterhaltungscomputer
weitergedacht, dient beiden als Ausgangspunkt für die Frage nach der
Zukunft der Kunstgeschichte, unterläßt aber eine wichtige Differenzierung.
Spätestens seit der Panoramenmalerei gilt es zu unterscheiden zwischen
illusionistischer Kunst, die auf den Eindruck des Betrachters abzielt,
und visionärer Kunst, die vom Ausdruck des Künstlers dominiert wird.
Die Illusion orientiert sich am Objekt und läßt sich inzwischen mit
technischen Mitteln verändern und reproduzieren, während die Vision
des Künstlers an dessen Persönlichkeit und das originale Kunstwerk
gebunden bleibt. Die Kunstkammer, deren öffentliche Zugänglichkeit
oft weit unterschätzt wird, war das Medium der frühen Neuzeit, in
dem Kunst als Vision und Illusion vermittelt wurde und außerdem Objekte
aus Natur, Geschichte und Technik das Bild von der Welt formten. Wyss
bezeichnet die universale Sammlung zu Recht als "Monade", wie es ihr
Anspruch, ein Mikrokosmos zu sein, impliziert. Der Ansatz ihrer Erforschung
geht nicht vom Künstler, sondern vom Betrachter aus und ist daher
aus heutiger Sicht primär Medienwissenschaft. Die Illusion diente
auch damals schon als ein Mittel zur Beeinflussung der Rezipienten,
das oft genug mit der Kunst in Konkurrenz stand, wie die Anekdote
von Cellini zeigt.
Wo bislang
als Thema der Kunstkammer nur eine flächenhafte Beschreibung des Makrokosmos
im Rahmen des Begriffspaares Naturalia / Artificialia beobachtet wurde,
postuliert Bredekamp eine Viererkette aus den Begriffen Naturform,
Antike, Kunst und Maschine als strukturbildenden Gedanken. Die Rezension
unterschlägt die zentrale These Bredekamps: Diese Kette sei als historische
Leitlinie aufzufassen, denn die Natur entspreche der Ur- und Frühgeschichte,
da die Zeugnisse beider aus der Erde kommen, während die Kunst das
zeitgenössische Schaffen darstelle und Maschinen einen Ausblick in
die Zukunft gäben. "Als These sei formuliert, daß die Historisierung
der Natur bereits im Horizont der Kunstkammern des 16.-18. Jahrhunderts
lag." (S. 17) Die visuelle Erfahrung der Kunstkammerobjekte habe zu
einer Dynamisierung der Natursicht geführt, "die durch puren Augenschein
zu einer historischen Vertiefung der Naturgeschichte gelangte." Kants
Bestimmung des Begriffs Naturgeschichte als Veränderung der Natur
im Laufe der Zeit statt dem alten Verständnis als Naturbeschreibung
beruhe auf zweihundertjährigem "geschichtlichem Tiefendenken". Dies
ist eine Mutmaßung, deren Bestätigung der Geistesgeschichte eine neue
Dimension verleihen würde, denn bis heute gilt die Meinung, vor der
Aufklärung sei ein stringentes Entwicklungsdenken weder in der Natur-
noch der Geisteswissenschaft und schon gar nicht in den Sammlungen
spürbar. Bredekamp geht zur Erläuterung seiner These anhand dreier
bildlicher Darstellungen aus dem Sammlungswesen auf das Verhältnis
der Bereiche Naturalia, Artificialia und Antike ein, die das Gros
aller Sammlungsobjekte abdeckten. Am Londoner Porträt eines Sammlers
von Parmigianino, dessen Hintergrund links von einer in der Bosse
stehenden Skulptur und rechts von einer Landschaft gebildet wird,
konstruiert er mittels Einordnung der Skulptur ins Reich der (überformten)
Mineralien eine Mittlerrolle der Antike zwischen Mensch und Natur
(S. 19 f). Die Natur, der die Zeit vor der Antike zugeordnet wird,
stelle mit dieser eine historische Kontinuität bis zur humanistisch
geprägten Gegenwart, die durch die Kunst repräsentiert würde. Löst
man sich aber von Bredekamps These und betrachtet die Skulptur als
Kunst, so bietet sich für das Bild eine andere Interpretation an:
Der Mensch steht als formende Kraft zwischen Natur und Kunst.
Die Stellung
der Antike als Mittler zwischen Mensch und Natur sucht der Autor an
zwei weiteren Bildquellen zu belegen, einem Kupferstich der Metallotheca
Mercati und dem berühmten Sammlerporträt des Earl of Arundel von Mijtens
(S. 21 ff). Beide Bilder zeigen die zentralperspektivische Darstellung
eines Sammlungsraumes. Der Fluchtpunkt des ersteren liegt in einem
antiken Rundtempel mit Statue; beim Arundel-Porträt geht der Blick
durch die Antikengalerie in die weite Landschaft. Auch hier bietet
sich gegen Bredekamp die Auffassung an, daß nicht etwa das menschliche
Auge über die Antiken hinaus in die Natur, den Urprung des Seins,
geführt wird, sondern daß jenseits des antik geprägten Raumes die
wuchernde Unordnung steht. Denn im Stich öffnet sich bei genauem Hinsehen
kein reziproker Perspektivkegel, sondern eine bewachsene Ruine steht
quer. Beim Arundel-Porträt verhindert eine Abschrankung das Durchschreiten
des Torbogens am Ende der Galerie. Die Antike vermittelt nicht zur
Natur, sondern sie ist umgekehrt die Schwelle vom Chaos zum Kosmos,
von der Wildnis zur geordneten Welt der zivilisierten Menschheit.
An dieser
Stelle soll Bredekamp aber auch verteidigt werden, denn gerade der
einzige ernsthafte Kritikpunkt des Rezensenten ist nicht stichhaltig:
Die Ethnologica-Sammlung der Habsburger diente nicht der Illustration
imperialer Gelüste. Diese Ansicht, ein Relikt neomarxistischer Geschichtsschreibung,
wird einerseits widerlegt durch die Begierde, mit der auch machtlose
Duodezfürsten die Raritäten ferner Länder horteten, andererseits durch
die Korrektur der bisher unbefriedigenden Interpretation der ersten
theoretischen Gliederung der Kunstkammern von Quiccheberg (1565).
Bredekamp übernimmt die Deutungen der älteren Literatur, die als vorherrschendes
Moment das Lob des Landesfürsten und die Beschreibung seines Territoriums
betonten. Eine solche Beschränkung ist aus Quicchebergs Entwurf nicht
abzulesen. Es ist bisher übersehen worden, daß seine Klassifikation
mehreren verschiedenen Richtlinien folgt: Die Gruppen der ersten Klasse
folgen zunächst dem hierarchischen Prinzip; Christentum vor Fürstenwidmung,
sodann der Rest der Welt nach Maßgabe der sieben Planeten. Jede Gruppe
ist einem Ausschnitt des irdischen Wirkens eines Planeten gewidmet,
was an den damals verbreiteten Zyklen der Planetenkinderbilder leicht
zu überprüfen ist. Sol als Patron der Herrscher erscheint in der Gruppe
der Fürstenwidmung. Geographische Karten repräsentieren die Erde,
Stadtansichten den Saturn, der auch als Patron der Städtegründer galt.
Krieg und Lustspiel stehen für Mars und Venus, jagdbares Wild und
Fischfang beziehen sich auf Schütze und Fische, die beiden Häuser
des hier als Jagdpatron verstandenen Jupiter. Aedificorum exempla
ex arte fabrili gehören zu Merkur, dem Gott des Kunsthandwerks, während
die Maschinenmodelle, die alle mit Wasser zu tun haben, dem Mond zuzuordnen
sind. Die erste Klasse bildet also nicht in erster Linie das Territorium
des Sammlers, sondern den astrologisch bestimmten Stufenkosmos des
frühneuzeitlichen Neoplatonismus ab, wie es für einen Mikrokosmos
naheliegt. Zweite und dritte Klasse zeigen Beispiele der Artificialia
und Naturalia. Die vierte Klasse enthält neben einer präzisen Illustration
der Artes mechanicae nach Hugo von St. Victor auch das Quadrivium
der Artes liberales aus Musik, Geometrie, Astronomie und Arithmetik.
Die fünfte Klasse nimmt alles auf, was Quiccheberg nach den bis dato
benutzten Ordnungen nicht berücksichtigen konnte. Die einzelnen Gruppen
sind so angelegt, daß alle Arten von Vergleichen möglich sind. Diese
der Idee des Paragone entsprechende Methodik des Vergleichs unterschiedlichster
Dinge ist ein Charakteristikum der frühen Neuzeit; nicht die Kontinuität,
sondern der Kontrast stand im Vordergrund. Hier liegt der Grund für
die gesuchte Gegeneinanderstellung von Natur und Kunst, von antik
und neu, von heimisch und exotisch. Entsprechend vielschichtig zeigte
sich die Ordnung in den realen Kunstkammern. Auch Bredekamp erwähnt
öfter den Vergleich als Methode, aber er erkennt nicht seine gestalterische
Kraft. Statt dessen bezieht er aus dem Nebeneinander von Antike und
Moderne sowie dem mehrfachen Auftreten von Maschinenmodellen Belege
für seine historische Kette. Ohne die Brille dieser These ist eine
zeitliche Abfolge in Quicchebergs Werk nicht auszumachen, vor allem
da die Antiken nicht als geschlossene Gruppierung erscheinen. Auch
bei der Untersuchung der realen Bestände in den habsburgischen Kunstkammern
von Ambras und Prag gelingt es Bredekamp nicht, eine historische Verknüpfung
schlüssig nachzuweisen.
Autor
und Rezensent übersehen, daß die Einheit der Kunstkammern bereits
im 17. Jh. ein Ende fand. Die Auffassung vom Kosmos als Maschine konnte
für den Mikrokosmos der Kunstkammer nicht ohne Konsequenz bleiben.
Das "Mechanicon" Keplers, der Entwurf für ein Modell der von den fünf
platonischen Körpern definierten Planetenbahnen, wäre die perfekte
Projektion des kartesischen Denkens in die Kunstkammer gewesen. Bredekamp
vergißt aber zu erwähnen, daß die Ausfertigung des Entwurfs wegen
praktischer Undurchführbarkeit nie beendet wurde. Das Beispiel ist
symptomatisch: Kunstkammer und Kartesianismus vertrugen sich nicht,
denn die Betrachtung von Kosmos, Mensch und Natur als Maschine nivellierte
die alten Strukturen. Ingo Herklotz erläutert dies in seinem Literaturbericht,
ebenfalls im Märzheft dieser Zeitschrift, genauer.
Bereits
die Uffizien von 1589 als Komplex aus Tribuna, Galerie, Kabinetten,
Werkstätten und Labors sprengten den architektonischen Rahmen einer
Kunstkammer, während ihr Konzept mit der Ordnung nach Planeten und
Elementen noch der kosmologischen Theorie verhaftet blieb. Die Erweiterung
des Sammlungskomplexes mit Labors und Werkstätten, in denen Scientifica
und Maschinen zu Forschung und Produktion benutzt wurden, vollzog
sich ab etwa 1600 auch in anderen großen Staatssammlungen. Nach und
nach wuchs der Sammlungskomplex der Paläste zur staatlichen Infrastruktur
der Akademien und Manufakturen heran und ging in der Realität des
Makrokosmos auf. Die autonomen Forschungs- und Lehrsammlungen nahmen
die Abbildungsfunktion eines Mikrokosmos nicht mehr wahr. Die Kunstkammern
verloren an Interesse und stellten seit der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts nicht mehr das kulturelle Zentrum eines Hofes dar. Nach
der Jahrhundertmitte erfolgten keine Neugründungen mehr, dagegen sind
erste Spaltungstendenzen in Dresden bereits für 1610 belegt, bei den
Habsburgern für 1661. Schon früh im 17. Jh. entstanden Spezialsammlungen,
von denen nur die von Jabach und Worm genannt seien. Die Sammler statteten
ihre Kollektionen nur noch gelegentlich mit Hinweisen auf das kosmologische
System aus. Im allgemeinen dienten Gemälde und antike Skulpturen der
Repräsentation in Schloßgalerien, während antike Münzen und Inschriften
in den Kabinetten der Antiquare verschwanden und Naturalien eigene
Sammlungen füllten, deren Funktion sich von der Darstellung des Kosmos
gelöst hatte. Diese Aufgabe war im Sinne des mechanistischen Weltbildes
der Uhr und auch der Bibliothek zugefallen.
Welche
Vorstellungen Existenz und Struktur der Sammlungen prägten, läßt sich
zuverlässig an der Philosophie verifizieren oder negieren. 1623 schrieb
Bacon seine Utopie Nova Atlantis, die zwar mit ihrer Gliederung nach
den vier Elementen, den Künsten und den fünf Sinnen eine kosmologische
Mehrfachstruktur ähnlich der Quicchebergs als Aufbauprinzip für den
Wissenschaftskomplex des fiktiven Inselstaates übernahm, aber einer
Kunstkammer keinen Platz einräumte. Im Gegenteil, die Beschreibung
der wissenschaftlichen Einrichtungen liest sich wie ein Anti-Kunstkammer-Programm.
Alleinige Aufgabe der Forscher ist das Experimentieren mit den Dingen
der Natur, ihre Veränderung zum Nutzen des Menschen und die Produktion.
Das Wort Sammeln kommt in Bacons Beschreibung nicht vor. Selbst die
Boten, die in die Länder der Welt geschickt werden, um Neuheiten zu
aufzuspüren, suchen ausschließlich Literatur über neue Versuche. Als
einzig sammlungswürdigen Bereich aller Wissenschaft läßt Bacon neben
einer Porträtgalerie die Scientifica gelten. Durch das Weglassen der
Kunstkammer bringt er seine Ablehnung der Auffassung zum Ausdruck,
alleinige Naturbeschreibung könne zu neuer Erkenntnis führen. Bacons
utopisches Konzept antizipierte den Bedeutungsverlust der universalen
Kunstkammer, gab aber für die aus ihr hervorgegangene Naturphilosophie
den Weiterweg an: Die modernen Wissenschaften müssen sich von der
permanent beschreibenden Naturgeschichte trennen, um sich nutzbringend
weiterentwickeln zu können.
Wiederum
bleibt die Interpretation einer Bildquelle, die der Autor als Beleg
für eine anhaltende Präsenz der Kunstkammer-Idee anführt, zweifelhaft.
Er liest einen Stich Marilliers mit dem Titel Die Philosophie von
1762 als Idealbild der Kunstkammer (S. 48). Naturalien und wissenschaftliche
Geräte umgeben ein grübelndes Melancholie-Kind unter einem ruinösen
Torbogen, der nach Bredekamp die Antike repräsentiert. Er erweist
sich jedoch als barocker Korbbogen, und das "Landschaftsrelief", das
als einziges Objekt für die Kunst in Anspruch zu nehmen wäre, ist
ein Stück des natürlich gewachsenen Ruinenmarmors, einer ungleichmäßig
verfärbten Marmorvarietät aus der Toskana, die zwar gerne als Landschaft
gelesen wurde, aber keine war. Die abgebildeten Naturalien und Scientifica
allein sind nicht der Kunstkammer verpflichtet. Eine Begriffshistorisierung
hätte gezeigt, daß Philosophie neben ihrer heutigen Bedeutung in der
frühen Neuzeit auch die Naturphilosophie umfaßte, deren Gegenstand
die Erklärung der Natur darstellte, im Gegensatz zur Naturgeschichte,
deren Inhalt die Naturbeschreibung war. Der Stich zeigt also keineswegs
eine Kunstkammer, sondern illustriert lediglich das Betätigungsfeld
der Naturphilosophen, die aber ohne enzyklopädische Sammlung auskamen.
Im kurzen
Text der Rezension von Wyss fällt der Widerspruch zwischen der "Monade"
der Renaissance-Kunstkammer und den kunst- und geschichtslosen Laboratorien
der neuen Wissenschaften deutlicher ins Auge als im Buch selbst. Bredekamp
verwendet den Begriff Kunstkammer ungeachtet des Verlustes von architektonischer
und ideeller Einheit weiter. Er fixiert ihn an dem Begriffstrio Naturalia
/ Artificialia / Scientifica und unterscheidet nicht zwischen dem
abstrakten Gliederungsprinzip der Philosophie und der Realität der
barocken Sammlungen, die er nicht mehr prüft. Die Fülle der Belege,
die er aus dem 18. Jahrhundert für die Auflösung der Kunstkammern
zitiert, zeigt nur noch den Kampf der Wissenschaftler gegen die Trägheit
rückständiger Landesherren und Amateure, deren traditionelle Kunstkabinette
schon die Verachtung gebildeter Zeitgenossen auf sich gezogen hatten.
Um auf
den Text von Wyss und auch das Resümee von Herklotz zurückzukommen:
Die späten Kunstkammern als Restbestände der Renaissance-Kosmologie
waren in der Tat anachronistisch, aber sie bildeten nicht die Vorstufe
historischer Kunstwissenschaft. Als Medium des alten, erst mit der
Aufklärung endgültig obsolet gewordenen Weltbildes hatten sie ihre
Position als Ort der Erkenntnis längst an die akademischen Studiensammlungen
verloren. In den Antiken- und Gemäldegalerien der Spezialisten begann
die Würdigung der schöpferischen Sehweise autonomer Künstler, zunächst
aber ohne historische Verknüpfung. Winckelmanns Verdienst ist es,
für die Geschichte der Kunst des Altertums erstmals eine Kunstsammlung
als Forschungsmittel benutzt und damit auf das Niveau der Wissenschaft
gehoben zu haben. Eine "Begründung der Theorie des modernen Kunstmuseums"
(S. 89) ist sein Werk nicht; es verbreitete nur die Gedanken, die
Maffei, Caylus und Christ in der Frühaufklärung erstmals formuliert
hatten. Mit dem Sprung ins revolutionäre Museumswesen von Paris übergeht
Bredekamp die Einführung der geographisch-chronologischen Ordnung
in den Jahren 1778-1782 durch Christian von Mechel im Wiener Belvedere.
Mechel bezog seine Idee aus der von Mariette aufgebauten Graphiksammlung
des Prinzen Eugen; Winckelmanns aufklärerisch gefärbte Vorstellungen
spielten am Habsburger Hof allenfalls eine Nebenrolle. In Frankreich
setzte sich das kunsthistorische System erst mit der Neugestaltung
des Louvre von 1797 durch, obwohl (oder gerade weil) Mechel sein Projekt
bereits 1776 an den königlichen Intendanten d'Angivillers geschickt
hatte.
Die chronologisch
geordneten bürgerlichen Museen gewannen als Vermittler des Historismus
wieder stärker medialen Charakter und stehen damit in der Nachfolge
der Kunstkammern, obgleich sie ihre Struktur aus den akademischen
Sammlungen bezogen. Diese Verknüpfung von Kunstvermittlung und Wissenschaft
im Rahmen des geltenden Weltbildes ist die Leistung des bescholtenen
Kunsthistorismus. Ein "fatales Erbe" (Wyss) ist das nur, wenn die
Kunstgeschichte in kulturpessimistischer Musealisierung der traditionellen
Künstler erstarrt, während sich das Publikum mit den zukunftweisenden
Visionären wieder der Illusion zuwendet und sich an den reproduktiven
Techniken und Massenmedien orientiert. Wenn früher das Weltbild die
Medien prägte, so sind heute die Rollen vertauscht. Den kreativsten
und schnellebigsten Bereich der zeitgenössischen Kunst, nämlich Graffiti,
Computerkunst und Videoclips, kann die Kunstgeschichte nur aufarbeiten,
wenn sie auch Medienwissenschaft wird und so dem homo ludens auf den
Fersen bleibt.
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