Klaus Minges, Dr. phil. |
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Das Ende des linearen Laufbahnmusters von Charles Zijderveldt und Klaus Minges (Neue Zürcher Zeitung am 6.1.2001, S. 79) Unternehmen, die den ökonomischen Umbruch unbeschadet überstehen wollen, müssen schlank und flexibel bleiben und können es sich nicht mehr leisten, mit der Mehrzahl der Arbeitnehmer Bindungen auf Lebenszeit einzugehen. Damit gerät mancher Lebensplan in akute Bedrängnis. Niemand kann mehr damit rechnen, von seinem Lehrbetrieb einst die Pension zu beziehen. Oft wird eine vollständige Neuorientierung notwendig. Eine solche setzt aber auch eine veränderte Lebenseinstellung voraus. Arbeitnehmer und Gewerkschaften fürchten die New Economy als Vernichter hart erkämpfter arbeitsethischer Errungenschaften. In der Tat: Die vertikale Integration aller relevanten Dienstleistungen im Unternehmen reduziert sich zugunsten der Beschränkung auf das Kerngeschäft; man bezieht die jeweils optimalen Dienste per Ausschreibung von wechselnden Anbietern. Damit landet die lebenslange Loyalität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei den ökonomischen Auslaufmodellen. Die Arbeitswelt im Umbruch Es scheint, als wäre alles schon einmal geschehen - aber eben nur fast. Ein Rückblick in die Geschichte zeigt, dass es im Arbeitsmarkt zwei wichtige Wellen gegeben hat: Vor der industriellen Revolution waren fast alle Berufstätigen selbständig, sei es als Taglöhner auf dem Land oder als Handwerker. Die Älteren gaben ihr Wissen an die Jüngeren weiter, mit denen sie gemeinsam unter demselben Dach wohnten und arbeiteten. Die erste Welle von Arbeitsemigranten gelangte aus dieser Agrargesellschaft in eine mechanisierte Welt hinein: Die Bevölkerung konzentrierte sich in Städten und nahm dauerhafte Stellen bei langsam wachsenden Unternehmen an. Die zweite Welle spült uns im Moment von der Industriegesellschaft in eine postindustrielle Zukunft: Die traditionellen Lebensstellen verschwinden wieder, der flexible "Brainworker" zieht weg von der Stadt oder jettet um die Welt, womit die Abhängigkeit von Grossbetrieben schwindet. Arbeit wird zwar weiterhin genügend vorhanden sein, nicht aber die Bereitschaft der Unternehmen, sich auf unkündbare Dienstverhältnisse einzulassen. Denn Phasen des Leerlaufs, von wechselnden Projekten diktiert, sind nicht mehr akzeptabel. Es wird folglich immer weniger "sichere" Dauerstellen geben, ganz gleich, ob es den Betrieben gut oder schlecht geht. Fluktuation und Dynamik Nach Prof. Charles Handy ist die Firma der Zukunft organisiert wie ein Kleeblatt mit drei Segmenten:
Damit ist die Fluktuation programmiert: Immer weniger Leute werden im reglementierten Segment 1 tätig sein, und immer mehr in den dynamischen Segmenten 2 oder 3. Da aber kaum jemand freiwillig seinen sicher geglaubten Besitzstand aufgibt, müssen die Unternehmen diese Entwicklung mittels Outsourcing oder gar Entlassungen anschieben, wenn sie selbst überleben wollen. Der Schritt zum Self-Management In der Lebensplanung sollte man deshalb rechtzeitig umdenken und nicht länger Schutz bei einem einzigen Arbeitgeber suchen. Die Sicherheit liegt künftig in uns selbst, in unseren Kenntnissen und Erfahrungen. Jeder Einzelne wird in Zukunft vermehrt unternehmerisch denken und handeln müssen. Er kann sich nicht auf unbefristete Anstellungsverhältnisse festlegen, sondern muss auf Mandats- oder Projektbasis arbeiten oder gar ins Lager der Selbständigen wechseln. Schul- oder Hochschulabgänger können nicht mehr davon ausgehen, bei Grossfirmen dauerhaft unterzukommen. Sie schlagen gleich zu Beginn andere Karrierewege ein, was auch in der Schweiz zu einem Aufschwung des Jungunternehmertums geführt hat. Seitens der Unternehmen wird dieser Trend zu kleinen, beweglichen Einheiten durch Partner-Netzwerke und Spin-offs forciert. Selbst Betriebe der öffentlichen Hand gehen dazu über, geeignete Abteilungen als eigenständige Profit-Center aus dem Budget auszuklammern. Für den Arbeitnehmer ist das eine ganz neue Herausforderung: Die passive Haltung des Angestellten muss durch eine aktive Netzwerk-Strategie abgelöst werden. Er muss sich selbst im Wortsinne als Unternehmer betrachten. Er wird seine Leistungen ständig neu verkaufen müssen, sei es innerhalb der Firma oder auch an externe Auftraggeber. Der Arbeitgeber mutiert zum Kunden, und der ehemals abhängige, von Verträgen geschützte Arbeitnehmer muss nun darauf achten, welche Bedürfnisse jener hat, um diese bestmöglich zu befriedigen. Bekenntnis zum zyklischen Lebenslauf Die Konsequenz lautet: Die meisten Berufstätigen werden ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und ein eigentliches Karriere-Management betreiben müssen. Periodisch und aus eigenem Antrieb werden Standortbestimmungen notwendig. Die Zukunft erfordert die Mitarbeit an wechselnden Dienstleistungs-Lösungen für den Kunden, nicht mehr an der Produktion von materiellen Gütern, denn diese werden von computergesteuerten Robotern hergestellt. Jeder muss permanent seine Fähigkeiten dem Arbeitsmarkt anpassen, damit er die verlorene Sicherheit durch Konkurrenzfähigkeit ersetzen kann. Und damit ist grosse Mobilität und Flexibilität gefragt - nicht nur geographisch, sondern auch geistig. Das neue Anforderungsprofil, das manchem als bedrohlich erscheinen mag, weist jedoch handfeste Vorteile auf. An die Stelle von Tarif- und Generationenvertrag tritt das auf eigene Kompetenz gegründete Selbstvertrauen angesichts eines fliessenden ökonomischen Umfeldes. Der Arbeitsplatz ist gemäss den jeweils optimalen Standortbedingungen frei wählbar. Das Lebensalter verliert an Bedeutung; wer auf dem Kaderstellenmarkt von Jüngeren überrundet wird, verfügt über genügend Know-how und Erfahrung, um sich allein zu behaupten. Und er kann, befreit vom Zwang zum Kompromiss, das Handeln seiner Persönlichkeit anpassen. Keine Barriere für über 50-Jährige Immer mehr Berufstätige akzeptieren solche Veränderungen der Arbeitswelt und entscheiden sich bewusst für neue Arbeits- und Lebensformen. Sie wechseln Beruf und Branche oder positionieren sich als Selbständige in einem Netzwerk verschiedener Auftraggeber. Sie betrachten dies als einen besseren Weg zur Selbstverwirklichung, statt auf Gedeih und Verderb einem Unternehmen ausgeliefert zu sein. Das konservative Gegenargument aber ist bekannt: Nur wenige privilegierte Zeitgenossen befänden sich in der glücklichen Lage, sich derart selbst verwirklichen zu können, der Rest sei zum Scheitern verdammt. Richtig ist, dass ein hoher Bildungsstand der Marktteilnehmer notwendig ist, doch die gesellschaftliche Entwicklung beschreitet ohnehin diesen Weg. Die Lernfähigkeit und das Organisationstalent, über die ein heutiger Normalbürger verfügt, sollten nicht unterschätzt werden. Vor zehn Jahren galten Arbeitnehmer über fünfzig als ungeeignet, die neuen Technologien zu erlernen. Heute kann die grosse Mehrheit aller Berufstätigen in Mitteleuropa mit einem Computer umgehen - auch deshalb, weil sie ohne diese Kenntnis verloren wäre. Damit erscheint die Kritik kaum noch stichhaltig, denn im Bereich der Selbständigen dürften bereits zirka 15 Prozent den Status der Brainworkers erreicht haben. Besonders die kreativen Berufe in den Bereichen Kommunikation, Gestaltung und Informatik sowie Unternehmensberatung gewinnen hier an Bedeutung. Lebensziel "integrierte Leistungszeit" Wer seine Karriere zeitgemäss aufbaut, nimmt Arbeit, Aus- und Weiterbildung und Freizeit nicht länger als getrennte Bereiche wahr. Ohnehin ergibt eine Trennung für viele Beschäftigte keinen Sinn mehr, weil sich diese Bereiche ineinander verwoben haben. Die Arbeit wird kaum noch als Last empfunden; der Beruf gibt Erfüllung, die Arbeitskollegen bilden den Freundeskreis. E-Learning ist vom Spiel kaum mehr zu unterscheiden. Kreative Berufe können sich aus der linearen Arbeitszeit ausklinken und soziale oder Erlebniszeit nutzen, um Ideen zu generieren. Wer in den neuen Anforderungsprofilen Vergnügen, Erfüllung und ein gutes Auskommen findet, wird sie gleichsam spielend erfüllen. Sitzt man vor dem Computer und schreibt ein Buch, so lässt sich sicher von Arbeit sprechen (bei der vielleicht der Rücken weh tut wie bei körperlicher Arbeit). Gleichzeitig bildet man sich ständig weiter, sei es durch Recherche sei es durch die Überraschung der eigenen Ideen. Das Gefühl der Selbstbestimmung kommt dabei nicht zu kurz, denn Kreativität im eigenen Arbeitsrhythmus und im vertrauten Umfeld kann sehr genussvoll sein. Es ist keine getrennte Zuordnung der Bereiche Arbeit, Bildung und Freizeit mehr zu bemerken, denn die Integration ist vollständig. Dadurch entsteht, was auf den ersten Blick einleuchtet, eine vollständig andere Arbeitskultur, ja eine ganzheitliche Sinnstiftung für das Leben. Natürlich bleiben Terminvorgaben bestehen, aber der souveräne Dienstleister gewinnt höhere Zeitautonomie. Charakter und Inhalte der Leistungen ändern sich zeitgleich. Ganzheitliche Persönlichkeit Dass sich auch in nicht a priori kreativen Berufen die Bereiche Arbeit, Bildung und Freizeit verbinden lassen, beweisen die immer zahlreicheren "Workaholics". Diese Verknüpfung vermag ohne Leistungseinbusse die Persönlichkeitsspaltung vieler Manager und Kaderleute zu beenden, die im Unternehmen den harten Entscheider mimen, in der Aus- und Weiterbildung Teamfähigkeit beweisen und in der Freizeit als familiärer Softie Selbstverwirklichung suchen. Die Zusammenfassung zur "Leistungsfreizeit" beendet diese neurotischen Formen der Existenz und lässt so etwas wie eine ganzheitliche Persönlichkeit zu. Allerdings muss man lernen, diese Integration bewusst zu kultivieren, denn der Ehrgeiz verleitet manchen dazu, sich einseitig so zu verausgaben, dass ein früher Burn-out zum schliesslich unproduktiven "Baby-Millionär" droht. Gelingt es aber, so schliesst sich der Kreis zur "heilen Welt" der vorindustriellen Zeit: Mit Hilfe der geänderten Berufs- und Lebenseinstellung kann man die sinnstiftenden und menschenfreundlichen Gegebenheiten der vorindustriellen Zeit wiedererlangen - kombiniert mit dem heutigen Niveau des Lebensstandards. In diesem Sinne stellt die "Zweite Karriere" eine einmalige Chance dar. Zurück zum Schriftenverzeichnis |
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Klaus Minges · Mail: klausminges@yahoo.com · Web: www.minges.ch |
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