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Weiße Mäuse, schwarze Schatten
Plakate
gegen den Alkohol*
Der Kampf gegen den Alkohol in unserem Jahrhundert hat viele Gesichter.
Je nach Land, Mentalität und Zeitgeist wird er auf unterschiedlichste
Art und Weise geführt. Offenbar ist es nicht möglich, den Missbrauch
von Alkohol allein mit Gesetzen, behördlichen Vorschriften, Verboten
oder hohen Steuern aus der Welt zu schaffen. Im Krieg gegen Vergorenes,
Gebrautes und Gebranntes kommt daher auch die Werbung zum Einsatz,
wobei ihr zumeist die Aufgabe zufällt, vom "Teufel Alkohol" abzuschrecken.
Dies aus der Grundhaltung heraus, dass Abstinenz die einzige Lösung
des Problems sei. - Eindrückliche Beispiele für den Kampf der Werber
gegen den Alkohol liefert die Plakatkunst, hier aus der Plakatsammlung
des Museums für Gestaltung in Zürich.
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Im
Jahre 1927 startete die sowjetische Regierung eine Plakatkampagne
gegen die Trunksucht, deren Umfang bis heute unübertroffen ist. Mit
kunstvoller, stilistisch auf dem Konstruktivismus beruhender Typografie
und einer Flut von Statistiken, unterlegt mit sparsamer Bebilderung,
wurden die Folgen des Alkoholkonsums beschrieben, aber auch die Ursachen
erklärt und Auswege aufgezeigt. Daten zu Verbrechen, Rowdytum, Unfällen,
Tod durch Erfrieren, sozialer Zerrüttung, körperlichem Verfall, Geistes-
und Geschlechtskrankheiten sowie Missbildungen bei Kindern sollten
belegen, dass jeder einzelne betroffen sein kann. Fakten und Zahlen
zum Raubbau an Rohstoffen, dem Sinken von Produktivität und schulischen
Leistungen sowie dem Nachlassen von Schlagkraft und Disziplin der
Roten Armee bezeichneten drohende Gefahren für das junge Staatswesen
durch den Missbrauch von Alkohol. |
Alkohol
ist ein tödliches Gift (Statistik zur Sterblichkeit infolge Trunksucht),
anonym, Sowjetunion 1927
Schuld
an der Misere waren offenbar überkommene Misstände wie materielle
und kulturelle Rückständigkeit, alte Sitten und Rituale, vor allem
aber die Förderung der Schnapsbrennerei durch das zaristische Regime,
das damit das Volk am Boden halten wollte, und dessen Finanzkraft
erheblich von den Einnahmen des Alkoholverkaufs abhing. Mit Stolz
verwies man nun auf den drastischen Rückgang des Wodkakonsums nach
der Revolution, um sogleich als endgültige Lösung des Problems den
sozialistischen Aufbau, Aufklärung und Bildung der Werktätigen, die
Einbeziehung der Frau ins öffentliche Leben sowie Sport und Gewerkschaftsbeitritt
anzubieten. Walter Benjamin schrieb 1928 über die sowjetische Propaganda:
"Heuschreckenschwärme von Schrift werden unerbittlich auf die
Straßen hinausgezerrt ... und in eine diktatorische Vertikale gedrängt."
Und in der Tat fragt man sich, ob diese kleinteilige und informationslastige
Serie wirklich die gefährdeten Kreise erreichte.
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Eine
andere Serie der selben Kampagne setzt dagegen auf die klassischen
Lehrmittel visueller Kommunikation: realistische, deutliche Bildsprache
und wenig Text. Das im Suff Gesehene wird dem Nüchternen nochmals
vor Augen geführt und mit der Sinnfrage verbunden. Die Drohung, als
Irrsinniger vom Teufel geholt zu werden, ist jedermann auf den ersten
Blick verständlich. Damit ist ein Motiv bezeichnet, das sich wie ein
roter Faden durch die Geschichte der Plakate gegen die Trunksucht
zieht: Die Vision des Alkoholikers dient gleichzeitig dem Aufzeigen
der drohenden Konsequenzen, seien sie Unfälle, Sanktionen oder sozialer
Absturz. |
lkoholismus
führt zu Geisteskrankheiten. Anonym, Sowjetunion 1927
Steht in Osteuropa bis heute überwiegend das Suchtpotential
mit seinen sozialen Folgen im Vordergrund, so spielt in der urbanen
westlichen Welt das Unfallrisiko die wichtigere Rolle. In der ersten
Jahrhunderthälfte fallen zahlreiche Kampagnen auf, die den industriellen
Arbeitsplatz ins Visier nehmen, wobei Alkohol nur eine Ursache von
vielen war, die es zu bekämpfen galt. Erst seit in den fünfziger Jahren
der Straßenverkehr an Bedeutung gewann, sahen sich staatliche Stellen
veranlasst, speziell den Alkohol am Steuer zu brandmarken.
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Der
Pole Waldemar Swierzy erfasst in der Optik des Trinkers eine Wahrnehmung,
die oft folgenlos bleibt, um in der Schrift mitzuteilen, dass dies
in der virtuellen Handlung des Plakates nicht so ist: Der Aufprall
steht unmittelbar bevor. Öfter findet sich jedoch das Gegenteil: Was
der Alkoholiker selbst nicht wahrnimmt, aber der Außenstehende sieht,
ist der drohende Schatten, der auf den Trinker fällt, das Gespenst
des Todes, der ihn mit der Droge versorgt.
Nach
dem Wodka - vor dem Ereignis, Waldemar Swierzy, Polen 1958 |
Das
kraftvolle Bild aus Ungarn scheint mit dem Rot des Weines und des
Hintergrundes Edgar Allan Poes Erzählung "Die Maske des Roten Todes"
aufzugreifen, der als gespenstischer Fremdling in ein fröhliches Gelage
eindringt und die Feiernden dahinrafft. Das Totentanz-Motiv nahm seit
dem Mittelalter den Knochenmann als schicksalshaft und unentrinnbar
hin, doch der Trinker begibt sich freiwillig in seine Gesellschaft.
Auftraggeber und Entwerfer orientieren sich überwiegend am gängigen
Rollenbild, das die Frau als Opfer des trinkenden Mannes sieht; sie
selbst lehnt Alkohol ab. Selten wird die Gefährdung der Frau dargestellt,
wie in einem Plakat
des
Verbandes für Volksaufklärung.
Gegen
Alkohol, anonym, Ungarn 1916 |
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Auch
die Hausbar eine Gefahr
Roland Guignard, Schweiz 1947 |
Sie
bleibt jedoch auch in neueren Plakaten die Rabenmutter, die ihre Kinder
vernachlässigt, so wie der trinkende Familienvater mit Bildern der
verzweifelten Frau und weinender Kinder an seine Pflicht erinnert
wird.
Bereits früh und erstaunlich konstant tritt aber auch die Ansicht
auf, der Mann sei nicht nur Täter, der die Frau verprügelt und das
gemeinsame Hab und Gut verprasst, sondern selbst Opfer eines nicht
greifbaren Geistes, des Alkohols, der als Wolke aus der Flasche steigt
oder als Schlange im Glas schwimmt.
Jeder
50. Schweizer ist ein Alkoholiker
Barbara Strahm, Schweiz 1983 |
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Aus
der Wahl der Getränke, die zur Übermittlung der Botschaft geeignet
erscheinen, lassen sich weitere Schlüsse ziehen. In der Regel ist
es bei den Suchtplakaten der Schnaps, der als Wurzel allen Übels bekämpft
wird. Er ist Endpunkt der Trinkerkarriere, während Bier und Wein gesellschaftlich
akzeptiert sind. Sie treten erst im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr
in Erscheinung. Das Motto „Eines ist schon zuviel“ zeigt,
dass bei ihnen weniger das Suchtpotential zur Debatte steht, sondern
die Einschränkung der Reaktionsfähigkeit. Beim Wein gelangt ausschließlich
Rotwein im immer gleichen Glas zur Darstellung, was schließen lässt,
dass dem Entwerfer die Symbolik von Farbe und Form meist wichtiger
ist als die Art des Getränks. Aus der notwendigen Beifügung bedrohlicher
Elemente wird das Problem jeglicher Anti-Werbung offenkundig: Es fehlt
das Produkt, das effektvoll ins Bild gesetzt werden kann und Lust
vermittelt.
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Plakate mit fröhlichen Zechern, mit kraftvollen, humpenstemmenden
Kellnerinnen erzielen eine wohlige Grundstimmung, die zum Konsum anregt.
Der erhobene Zeigefinger oder drastische Schreckbilder transportieren
dagegen nur Angst oder Abscheu, Verdrängung und Trotz, ohne einen
Ausweg zu vermitteln. In der Schweiz wurde bereits in den zwanziger
Jahren versucht, dieses Dilemma durch das Angebot von Alternativen
aufzulösen. Dora Hauth bestimmte eine familiäre Idylle als Ausgangspunkt
und schuf mit ihrer madonnenhaften Mutter unter dem Baum der Versuchung
ein religiös anmutendes Erntedank-Bild, in dem ein trunkener Faun
als Verführer in die heile Welt eindringt, den Apfel in destillierter
Form anbietend. Die Alternative ist greifbar: Süßmost, wohlschmeckend
und gesund.
Süssmost
statt Schnaps, Segen statt Fluch, Dora Hauth, Schweiz 1927 |
Auch
Produzenten alkoholfreier Getränke nutzten die Möglichkeit, ihre Produkte
als dem Alkohol überlegen darzustellen, mit Slogans wie "Klarer Kopf",
"mineralreicher" oder "Milch macht manches wieder gut". Emil Cardinaux
nahm die Dramaturgie noch weiter zurück. Sein subtiler Kontrast des
aufrechten Arbeiters zum gebückten, glatzköpfigen Trinker gibt zu
denken, ohne zu karikieren; die Frage statt eines Vorwurfs bleibt
kameradschaftlich.
Hat
Dir Alkohol je genützt?
Emil Cardinaux, Schweiz um 1924 |
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In
einer Zeit, in der bei politischen Kampagnen wüste Verunglimpfungen
die Regel waren, scheint dieses Plakat der Schweizer Zentralstelle
zur Bekämpfung des Alkoholismus Steinersche Pädagogik zu spiegeln.
Trotz dieser Beispiele bleiben positiv stimmende Anti-Alkohol-Plakate
eine seltene Ausnahme. Ein neueres Plakat des Basler Abstinentenverbandes
präsentiert unter dem Porträt eines Pärchens an der Bar den Slogan
"Wenn's schön wird, will ich nüchtern sein". Vom Muff der Moralapostel
befreit, gelingt hier der Spagat einer verheißungsvollen Anti-Werbung.
Wenn's
schön wird, will ich nüchtern sein
Cioma Schönhaus, Schweiz 1990 |
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erschienen in "Ami du Vin" 1/1999, S. 40-42
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