Als 1982 eine knapp 6 cm starke Monographie über die Villa Albani
und ihre Antikensammlung erschien (Beck/Bol (Hg.): Forschungen zur
Villa Albani, Berlin 1982), war dies ein Novum in der Kunstgeschichtsschreibung,
war man es doch bisher gewohnt, sich mit den wenige Seiten umfassenden
Aufsätzen zur Sammlungsgeschichte am Beginn eines Bestandskataloges
abzufinden. Die qualitätvolle, erschöpfende Rekonstruktion und Würdigung
der Sammlung des Kardinals und der Tätigkeit seines Antiquars Winckelmann
wurde mit zwei theoretischen Aufsätzen von Liebenwein und Bredekamp
abgeschlossen. Beide Texte behandelten in erster Linie die Kunstkammer
und hatten mit der Sammlung Albani nur am Rande zu tun, gaben aber
einen willkommenen Einblick in Architektur und Theorie des Sammlungswesens
der frühen Neuzeit, an dessen Ende die Sammlung Albani steht. Mittlerweile
ist die Sammlungsgeschichte und speziell die Kunstkammer ein gefragtes
Modethema, was den Wagenbach Verlag veranlaßte, Horst Bredekamps stark
überarbeiteten Aufsatz als eigenes Buch herauszugeben. Es zeichnet
sich, wie in dieser Reihe üblich, durch leserfreundliche Aufmachung
aus. Der knapp 100 Seiten lange Text liest sich anspruchsvoll, ist
aber knapp und präzise in der Sprache. Sein Inhalt verdient das Prädikat
"aufsehenerregend".
Der Autor
schlägt einleitend durchaus überraschend eine Brücke zwischen antiken
Skulpturen und den Automatenfiguren der Renaissance. Das Bindeglied
ist die Formung natürlicher Materialien durch den Menschen und das
Streben nach Ähnlichkeit, das bis zu dem im Pygmalionmotiv ausgedrückten
Wunsch nach Verlebendigung reicht. Daraus entsteht die Frage nach
der Beziehung des Menschen und seiner Produkte zur denen der Natur,
einem dritten Schwerpunkt der Kunstkammersammlungen. Unvermittelt
wird die grundlegende These der Abhandlung präsentiert, deren Bestätigung
der Geistesgeschichte eine neue Dimension verleihen würde: "Als These
sei formuliert, daß die Historisierung der Natur bereits im Horizont
der Kunstkammern des 16.-18. Jahrhunderts lag." Die visuelle Erfahrung
der Kunstkammerobjekte habe zu einer Dynamisierung der Natursicht
geführt, "die durch puren Augenschein zu einer historischen Vertiefung
der Naturgeschichte gelangte." Kants Bestimmung des Begriffs Naturgeschichte
von 1775 als Veränderung der Natur im Laufe der Zeit statt dem alten
Verständnis als Naturbeschreibung beruhe auf zweihundertjährigem "geschichtlichem
Tiefendenken" (17).
Um seine
These auszubauen, geht Bredekamp anhand dreier bildlicher Darstellungen
aus dem Sammlungswesen auf das Verhältnis der Bereiche Naturalia,
Artificalia und Antike ein, die als Oberbegriffe das Gros aller Sammlungsobjekte
abdeckten. Am Londoner Porträt eines Sammlers von Parmigianino, dessen
Hintergrund links von einer in der Bosse stehenden Skulptur und rechts
von einer Landschaft gebildet wird, konstruiert er mittels Einordnung
der Skulptur ins Reich der (überformten) Mineralien eine Mittlerrolle
der Antike zwischen Mensch und Natur. Die Natur, der die Zeit vor
der Antike zugeordnet wird, stelle mit dieser eine historische Kontinuität
bis zur humanistisch geprägten Gegenwart, die durch die Kunst repräsentiert
würde. Löst man sich aber von Bredekamps These und betrachtet die
Skulptur als Kunst, so bietet sich für das Bild eine andere Interpretation
an: Der Mensch steht als formende Kraft zwischen Natur und Kunst.
Die Stellung der Antike als Mittler zwischen Mensch und Natur sucht
der Autor an zwei weiteren Bildquellen zu belegen, einem Kupferstich
der Metallotheca Mercati und dem berühmten Sammlerporträt des Earl
of Arundel von Mijtens. Beide Bilder zeigen die zentralperspektivische
Darstellung eines Sammlungsraumes. Der Fluchtpunkt des ersteren liegt
in einem antiken Rundtempel mit Statue, beim Arundel-Porträt geht
der Blick durch die Antikengalerie in die weite Landschaft. Auch hier
bietet sich gegen Bredekamp die Auffassung an, daß nicht etwa das
menschliche Auge über die Antiken hinaus in die Natur, den Urprung
des Seins, geführt wird, sondern daß jenseits des antik geprägten
Raumes die wuchernde Unordnung der Wildnis steht. Denn im Stich öffnet
sich bei genauem Hinsehen kein reziproker Perspektivkegel, sondern
eine Ruine steht quer. Beim Arundel-Porträt verhindert eine Abschrankung
das Durchschreiten des Torbogens am Ende der Galerie. Die Antike vermittelt
nicht zur Natur; sie ist die Schwelle vom Chaos zum Kosmos, zur geordneten
Welt der zivilisierten Menschheit.
Der somit
auf tönernen Füßen errichteten "historischen Kette" der Kunstkammer-Elemente
aus Natur, Antike und Kunst fügt Bredekamp mit Hilfe scharfsinniger,
aber wenig überzeugender Argumentation als viertes Glied die Komponente
Mechanik hinzu, die ihm als Dokument der Naturbeherrschung und Ausblick
in die Zukunft gilt. In dieser längs der Zeitachse ausgerichteten
Viererkette sieht er die ideale Ordnung der Kunstkammer und erkennt
eine historisch orientierte Weltsicht, wo bislang nur eine flächendeckende
Beschreibung des Makrokosmos im Rahmen des Begriffspaares Naturalia
/ Artificalia beobachtet wurde.
Eine
Schlüsselstellung in der Sammlungsgeschichte nimmt die erste theoretische
Einteilung der Kunstkammersammlungen durch Quiccheberg ein (Quiccheberg,
Samuel v.: Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi..., München
1565). Bredekamp übernimmt die unbefriedigenden Deutungen der älteren
Literatur, die als vorherrschendes Moment das Lob des Landesfürsten
und die Beschreibung seines Territoriums betonte. Es ist bisher übersehen
worden, daß seine Klassifikation mehreren verschiedenen Richtlinien
folgt: Die Gruppen der ersten Klasse folgen zunächst dem hierarchischen
Prinzip; Christentum vor Fürstenwidmung, sodann der Rest der Welt
nach Maßgabe der sieben Planeten. Jede Gruppe ist einem Ausschnitt
des irdischen Wirkens eines Planeten gewidmet, was an den damals verbreiteten
Zyklen der Planetenkinderbilder z.B. des Marten van Heemskerk leicht
zu überprüfen ist. Sol als Patron der Herrscher erscheint in der Gruppe
der Fürstenwidmung. Geographische Karten repräsentieren die Erde,
Stadtansichten den Saturn, der auch als Patron der Städtegründer galt.
Krieg und Lustspiel stehen für Mars und Venus, jagdbares Wild und
Fischfang beziehen sich auf Schütze und Fische, die beiden Häuser
des hier als Jagdpatron verstandenen Jupiter. Aedificorum exempla
ex arte fabrili gehören zu Merkur, dem Gott des Kunsthandwerks, während
die Maschinenmodelle, die alle mit Wasser zu tun haben, dem Mond zuzuordnen
sind. Die erste Klasse bildet also den astrologisch bestimmten Stufenkosmos
des frühneuzeitlichen Neoplatonismus ab. Zweite und dritte Klasse
zeigen Beispiele aus dem Wirken des Handwerksgottes Merkur und des
Saatgottes Saturn im Rahmen des Gegensatzpaares Artificalia / Naturalia.
Die vierte Klasse enthält neben einer präzisen Illustration der Artes
mechanicae nach Hugo von St. Victor auch das Quadrivium der Artes
liberales aus Musik, Geometrie, Astronomie und Arithmetik. Die fünfte
Klasse nimmt alles auf, was Quiccheberg nach den bis dato benutzten
Ordnungen nicht berücksichtigen konnte. Dieses System aus mehreren
verschiedenen Strukturen geht auf das mnemotechnische Theater des
Bologneser Gelehrten Camillo zurück, der aber nach Planeten, Elementen
und Künsten gegliedert hatte. Dessen Gegensatzpaar Körper und Seele
ersetzte Quiccheberg durch Natur und Kunst. Die einzelnen Gruppen
sind so angelegt, daß alle Arten von Vergleichen möglich sind. Diese
der Idee des Paragone entsprechende Methodik des Vergleichs unterschiedlichster
Dinge ist ein Charakteristikum der frühen Neuzeit, das dem heutigen
Leser Quicchebergs fremd ist. Nicht die Kontinuität, sondern der Kontrast
stand im Vordergrund. Hier liegt der Grund für die gesuchte Gegeneinanderstellung
von Natur und Kunst, von alt und neu, von heimisch und exotisch. Entsprechend
vielschichtig war die Ordnung in den realen Kunstkammern. Sie ist
selten so gut zu durchschauen wie im Dresdner Inventar von 1586 (abgedruckt
bei Hantzsch, Viktor: Ältere Geschichte der kurfürstlichen Kunstkammer
zu Dresden, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 23, 1902),
das Quicchebergs System aufnahm.
Auch
Bredekamp erwähnt öfter den Vergleich als Methode, aber er erkennt
nicht seine gestalterische Kraft. Statt dessen bezieht er aus dem
Nebeneinander von Antike und Moderne sowie dem mehrfachen Auftreten
von Maschinenmodellen Belege für seine historische Kette. Ohne die
Kenntnis dieser These ist eine vierstufige zeitliche Abfolge in Quicchebergs
Werk nicht zu erkennen, vor allem da die Antiken nie als geschlossene
Gruppierung erscheinen. Auch bei der Untersuchung der realen Bestände
in den habsburgischen Kunstkammern von Ambras und Prag muß Bredekamp
seine ganze Argumentationskunst aufbieten, um marginale Anhaltspunkte
für seine These greifbar zu machen. Das ist bei der Fülle der Objekte
nicht allzu schwer, da ja alle diese Sachgruppen vorhanden waren.
Aber eine Verknüpfung im historischen Sinne wiesen sie nicht auf.
Das Kapitel
"Forschung und Vision" beschäftigt sich mit dem Einfluß des Kartesianismus
auf das Sammlungswesen. Die Auffassung des 17. Jahrhunderts vom Kosmos
als Maschine konnte für den Mikrokosmos der Kunstkammer nicht ohne
Konsequenz bleiben. Der Autor schildert die Versuche, das kartesische
Denken auf die Kunstkammer zu übertragen, wo Uhren und Automaten zunächst
eine bedeutende Rolle spielten. Das "Mechanicon" Keplers, ein Entwurf
für ein dreidimensionales Modell der von den fünf platonischen Körpern
definierten Planetenbahnen, wäre die perfekte Projektion dieses Denkens
in die Kunstkammer gewesen. Bredekamp vergißt aber zu erwähnen, daß
die Ausfertigung des Entwurfs wegen praktischer Undurchführbarkeit
nie beendet wurde (Chojecka, Ewa: Johann Kepler und die Kunst. Zum
Verhältnis von Kunst und Naturwissenschaft in der Spätrenaissance,
in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 30.1967, 55-72, s.S. 57). Das
Beispiel ist symptomatisch: Kunstkammer und Kartesianismus vertrugen
sich nicht, denn die Betrachtung von Kosmos, Mensch und Natur als
Maschine nivellierte die alten Strukturen und stellte den praktischen
Nutzen der Naturwissenschaften in den Vordergrund. Die Kunstkammern
verloren an Interesse und bildeten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
meist nicht mehr das kulturelle Zentrum eines Hofes. Gemälde und antike
Skulpturen dienten der Repräsentation in prunkvollen Schloßgalerien,
antike Münzen und Inschriften verschwanden in den Kabinetten der Antiquare
und Naturalien füllten eigene Sammlungen, deren Funktion sich von
der Darstellung des Kosmos gelöst hatte. Diese Aufgabe war im Sinne
des mechanistischen Weltbildes der Uhr zugefallen. Bestehende Kunstkammern
blieben wegen ihrer Tradition oder mangelndem Engagement der Besitzer
noch lange erhalten, aber nach der Jahrhundertmitte erfolgten keine
Neugründungen mehr. Bei unverstelltem Blick wird die Diskrepanz zwischen
Philosophie und Kunstkammer aus den folgenden Abschnitten des Buches
selbst erkennbar, denn wiederum bleibt die Interpretation einer Bildquelle,
die Bredekamp als Beleg anführt, zweifelhaft. Er liest einen Stich
Marilliers mit dem Titel "Die Philosophie" von 1762 als Idealbild
der Kunstkammer (48). Naturalien und wissenschaftliche Geräte umgeben
ein grübelndes Melancholie-Kind unter einem ruinösen Torbogen, der
nach Bredekamp die Antike repräsentiert. Er erweist sich jedoch als
barocker Korbbogen, und das "Landschaftsrelief", das als einziges
Objekt für die Kunst in Anspruch zu nehmen wäre, ist ein Stück des
natürlich gewachsenen Ruinenmarmors, einer ungleichmäßig verfärbten
Marmorvarietät aus der Toskana, die zwar gerne als Landschaft gelesen
wurde, aber keine war. Die abgebildeten Naturalien und Scientifica
allein sind aber nicht der Kunstkammer verpflichtet. Eine Begriffshistorisierung
hätte gezeigt, daß Philosophie neben ihrer heutigen Bedeutung in der
frühen Neuzeit auch die Naturphilosophie umfaßte, deren Gegenstand
die Erklärung der Natur darstellte, im Gegensatz zur Naturbeschreibung,
die Inhalt der Naturgeschichte war. Der Stich zeigt also keineswegs
eine Kunstkammer, sondern illustriert lediglich das Betätigungsfeld
der Naturphilosophen, die aber ohne enzyklopädische Sammlung auskamen.
Die Erweiterung
des Sammlungskomplexes mit Labors und Werkstätten, in denen Scientifica
und Maschinen zu Forschung und Produktion benutzt wurden, vollzog
sich schon ab ca. 1600 in allen wesentlichen Sammlungen. Sie trug
dem Verlangen des Kartesianismus nach Nutzung zugunsten von Wissenschaft
und Wirtschaft Rechnung. Die Kunstkammer war "Geburtshelfer institutionalisierter
Forschung" (54). Die Uffizien von 1589 als Komplex aus Galerie, Tribuna,
Kabinetten, Werkstätten und Labors sprengten den architektonischen
Rahmen der Kunstkammer, während das Konzept mit der Ordnung nach Planeten
und Elementen noch der kosmologischen Theorie verhaftet blieb. Nach
und nach wuchs der Sammlungskomplex der Paläste zur staatlichen Infrastruktur
heran; der Mikrokosmos ging in der Realität des Makrokosmos auf. Die
im folgenden beschriebenen autonomen Forschungs- und Lehrsammlungen
an Universitäten und Akademien nahmen die Abbildungsfunktion eines
Mikrokosmos nicht mehr wahr. Bredekamp verwendet dennoch den Begriff
Kunstkammer ungeachtet des Verlustes von architektonischer Form und
ideeller Funktion weiter; Er fixiert ihn an dem Begriffstrio Naturalia
/ Artificalia / Scientifica und unterscheidet nicht zwischen dem abstrakten
Gliederungsprinzip und der Realität der Sammlungen. Im zweiten Teil
des Buches werden letztere nicht mehr behandelt. Der Autor sucht stattdessen
die europäische Geistesgeschichte nach Zeugnissen des historischen
Gedankens ab und wird bei Francis Bacon fündig, der zu Beginn des
17. Jahrhunderts eine Betrachtung der Kunst in Abhängigkeit von der
Zeit und dem sozialen Umfeld gefordert hat. Er hätte auch bei Vasari
und Karel van Mander Erfolg gehabt, denn in der Tat ist in der Kunsttheorie
um 1600 die Forderung nach geschichtlicher Betrachtung von Kunst unüberhörbar.
Sie blieb aber über 100 Jahre ohne Konsequenz für die Praxis, weil
sie in eine Zeit fiel, in der das Sammlungswesen seinen dominierenden
Einfluß auf das geistige Leben verlor. Auch die barocke Kunsttheorie
verharrte aus der Sicht des Historikers in Stagnation.
Im vorliegenden
Buch verhinderte die These vom historischen Gedanken in der Kunstkammer
und die Suche nach Belegen aus zwei Jahrhunderten paradoxerweise die
Historisierung der behandelten Institution. Bredekamp behandelt die
wenigen zaghaften Versuche, den Entwicklungsstau des geschichtlichen
Denkens zwischen Bacon und der Frühaufklärung zu überwinden, und projiziert
sie auf den Begriff Kunstkammer. Die Entwicklung im Sammlungswesen
selbst ist nicht Gegenstand seiner Überlegungen. Er geht einen anderen
Weg und findet, daß der Fortschritt der Wissenschaft auf dem spielerischen
Umgang mit dem vorhandenen Material in der Kunstkammer beruht. Mit
künstlichen Veränderungen der Natur kann der Mensch das Wesen der
Natur erkennen. Versuch und Irrtum kennzeichnen die Schöpfung als
Spiel und die Kunstkammer als Spielraum. Dieses Spiel vermittelt einen
"Entwicklungswunsch" (65), dessen Nichterfüllung in der frühen Neuzeit
Bredekamp nicht als Verharren im zeitlosen Status der scheinbar seit
dem Sechstagewerk unveränderten Natur versteht, sondern er ist als
"Zwischenstufe" auf dem Weg "jener Vergeschichtlichung der Natur zu
denken, die auf Darwins Evolutionstheorie zuläuft" (72).
In der
Aufklärung erzielten die gedanklichen Strukturen, die im 17. Jahrhundert
angelegt wurden, umfassende Breitenwirkung. Die Forderung nach nutzbringender
Anwendung der Sammlungen statt einer Abbildung des Kosmos konstatiert
Bredekamp zu Recht als Ende des Kunstkammerensembles, das er erst
im 18. Jahrhundert erkennt. Bereits 1623 aber schrieb Bacon seine
Utopie Nova Atlantis auf, die zwar mit der Gliederung nach den vier
Elementen, den Artes und den fünf Sinnen die kosmologische Mehrfachstruktur
als Aufbauprinzip für den Wissenschaftskomplex des fiktiven Inselstaates
übernahm, aber einer Kunstkammer keinen Platz einräumte. Im Gegenteil,
die Beschreibung der wissenschaftlichen Einrichtungen liest sich wie
ein Anti-Kunstkammer-Programm. Ihre alleinige Aufgabe ist das Experimentieren
mit den Dingen der Natur, ihre Veränderung zum Nutzen des Menschen
und die Produktion der Erträge. Das Wort Sammeln kommt in Bacons Beschreibung
nicht vor. Selbst die Boten, die in die Länder der Welt geschickt
werden, um Neuheiten zu suchen, sammeln ausschließlich Literatur,
die dann ausgewertet wird. Es existieren in Neu-Atlantis nur zwei
Sammlungen: "In der einen werden systematisch Musterstücke aller seltsameren
und bedeutenderen Erfindungen, in der anderen die Bildsäulen berühmter
Erfinder aufgestellt." (Bacon, Francis: Nova Atlantis, Utrecht 1643
(11627); dt. Ausgabe: Bugge/Klein (Hg.), Stuttgart 1982, 56) Bacon
läßt also neben einer traditionellen Porträtgalerie als einzig sammlungswürdigen
Bereich aller Wissenschaft die Scientifica gelten. Durch das Weglassen
der Kunstkammer bringt er seine Ablehnung der Auffassung zum Ausdruck,
alleinige Naturbeschreibung könne zu neuer Erkenntnis führen. Er ignoriert
die Methode des kontrastierenden Vergleichs, die in den neuen Wissenschaften
fruchtlos erscheint, und setzt allein auf das Experiment. Bacons damals
noch utopisches Konzept antizipierte einerseits den Bedeutungsverlust
der universalen Kunstkammer, gibt aber für die aus ihr hervorgegangene
Naturphilosophie den Weiterweg an: Die modernen Wissenschaften müssen
sich, um sich nutzbringend weiterentwickeln zu können, von der beschreibenden
Naturgeschichte trennen. Labors und Werkstätten benötigen zudem für
ihre Experimente Raum, der im Kontext einer Kunstkammer und selbst
eines Palastes nicht zur Verfügung steht. Mag man das Fehlen der Kunst
auf Neu-Atlantis dem fragmentarischen Charakter des Textes zuschreiben,
so läßt doch die Abwesenheit der Naturgeschichte keinen Zweifel an
der Radikalität, mit der Bacon die Technik von den Sammlungen abtrennt
und ihr den Weg in eine Zukunft zum Wohle der Menschheit weist.
Mit der
Ausgrenzung der Kuriositäten und der Vergesellschaftung ähnlicher
Dinge zu modernen wissenschaftlichen Strukturen durch Hebenstreit
und Buffon ist später auch das Ende der Methodik des kontrastierenden
Vergleichs besiegelt, die den Mikrokosmos zusammengehalten hatte.
Die Fülle der Belege, die Bredekamp aus dem 18. Jahrhundert für die
Auflösung der Kunstkammern zitiert, zeigt nur noch den Kampf der Wissenschaftler
gegen die Trägheit konservativer Duodezfürsten und Amateure, deren
Kunstkammern die Verachtung gebildeter Zeitgenossen auf sich zogen.
Fortschrittliche Sammler besaßen längst reine Gemälde-, Münz- oder
Skulpturensammlungen, die sie nur noch gelegentlich mit Hinweisen
auf das kosmologische System ausstatteten, wie in der Villa Albani
geschehen. Die dort entstandene Geschichte der Kunst des Altertums
von Winckelmann dokumentiert den ersten Versuch, eine Kunstsammlung
als wissenschaftliches Instrument zu benutzen. Eine "Begründung der
Theorie des modernen Kunstmuseums" (89) ist sie nicht; sie verbreitete
nur die Gedanken, die Maffei, Caylus und Christ in der Frühaufklärung
erstmals formulierten (Seznec, Jean: The Survival of the Pagan Gods,
New York 1953).
Mit dem
Sprung ins revolutionäre Museumswesen von Paris übergeht der Autor
die Einführung der geographisch-chronologischen Ordnung durch Christian
von Mechel in der Wiener Gemäldegalerie des Belvedere in den Jahren
1778-1782. Mechel bezog seine Idee aus der Zusammenarbeit mit Lambert
Krahe bei der Publikation der Neuordnung der Düsseldorfer Galerie
sowie aus den Chronologien der Numismatik (Wüthrich, Lukas Heinrich:
Christian von Mechel. Leben und Werk eines Basler Kupferstechers und
Kunsthändlers (1737-1817), Diss. Basel 1956, 115); Winckelmanns Vorstellungen
spielten bei ihm nur eine Nebenrolle. In Frankreich setzte sich dieses
kunsthistorische System erst mit der Neugestaltung des Louvre von
1797 durch, obwohl Mechel sein Projekt bereits 1776 an den königlichen
Intendanten d'Angivillers geschickt hatte. Die revolutionäre Louvre-Kommission
interessierte sich aber mehr für Zustand und Belichtung der einzelnen
Werke als für den Kontext der Sammlung (McClellan, Andrew L.: The
Politics and Aesthetics of Display: Museums in Paris 1750-1800, in:
Art History VII, 1984, 438-464; Ders.: The Musée du Louvre as Revolutionary
Metaphor During the Terror, in: The Art Bulletin 70, Juni 1988, 300-313).
So blieb dem Louvre trotz der Propaganda der Revolutionäre die Schrittmacherfunktion
versagt.
Obwohl
die theoretischen Schriften der späten Renaissance Ansätze einer historischen
Denkweise erkennen lassen, muß Bredekamps These eines historisch fundierten
Entwicklungsdenkens für das Sammlungswesen der frühen Neuzeit abgelehnt
werden. Eine Untersuchung mit dem Anspruch, eine überzeugende geistesgeschichtliche
Interpretation der frühen Sammlungen zu liefern, kann nicht ohne die
Grundlage einer breiten Auswertung der Kollektionen selbst sowie der
Überprüfung des Bedeutungswandels von Schlüsselbegriffen wie Philosophie
und Technik auskommen. Die korrekt ausgeführte Historisierung des
Begriffes Naturgeschichte bleibt ohne Auswirkung auf die dann doch
mißverständliche Interpretation der Schriftquellen. Der im Sinne geschichtlicher
Betrachtung geschulte Blick der heutigen Zeit wird dem damaligen Denken
nicht gerecht. Das Buch kann deshalb den Anspruch seines Titels, Licht
in die Geschichte der Kunstkammer zu bringen, auch nicht ansatzweise
erfüllen.
Klaus
Minges
Horst
Bredekamp: Antikensehnsucht und Maschinenglaube. Die Geschichte der
Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Wagenbach Verlag
Berlin 1993 (kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek, Bd.41), 122
Seiten mit 42 Abb. im Text, DM 27.-
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