Klaus Minges


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Burgunder

Unsere Kunstkammern sind alle voll von elfenbeinernen Bechern,
ein Beweis von der Favoriteignung unserer lieben Voreltern.
Ein Stück Elfenbein, woraus der Grieche einen Apoll geschnitzt hätte,
schnitten sie zum Becher hohl.

Georg Christoph Lichtenberg


Geschichte, Geographie

Im Gebiet des Herzogtums Burgund finden sich drei Höhepunkte abendländischer Kultur: Die Klöster von Cluny und Cîteaux mit ihren Filialen als Überreste des mittelalterlichen Mönchtums, die Schlösser der spätmittelalterlichen Herzöge, von denen das europäische Hofleben geprägt wurde, und die Weinberge der Côte d'Or, Wiege und Krönung des Weinbaus von der Antike bis zum heutigen Tag.

Von Dijon zieht sich der Steilabbruch eines Kalkplateaus als Begrenzung des Saônebeckens schnurgerade in Richtung Südwesten. Wenn die Sonne im Herbst das rötliche Laub der Rebberge erstrahlen lässt, wird der Name "Côte d'Or" zu Poesie - zu schön, um wahr zu sein, denn er ist lediglich das Kürzel von "Côte d'Orient", profan zu übersetzen als Ostabdachung eines Plateaus. Fährt man an ihrem Fusse die RN 74 ab, sei es im Auto oder mit dem Finger auf der Landkarte, so buchstabiert man das Einmaleins traditioneller Weltklasseweine: Gevrey-Chambertin, Morey-St. Denis, Chambolle-Musigny, Vougeot und Vosne-Romanée heissen die Grand-Cru-Orte der nördlichen Côte, deren Handelsort Nuits-St. Georges ihr den Namen Côte de Nuits gab. Die Doppelnamen erklären sich daraus, dass man im 19. Jh. den Namen des jeweils berühmtesten Weinberges an den Ortsnamen anhängte. Wächst hier fast ausschliesslich Rotwein, so finden sich in der südwestlich anschliessenden Côte de Beaune die grössten Weissweine überhaupt. Aloxe-Corton verfügt als einziger Rotwein-Grand Cru (mit der angeblich schon von Karl dem Grossen geschätzten Lage Corton-Charlemagne) auch über einen weissen Grand Cru der Weltklasse. Er wird nur erreicht vom weiter südlich gelegenen Weinberg Montrachet, den sich die Orte Puligny und Chassagne teilen. Diese Provenienzen erzielen Preise, die im Weisswein-Sektor nur vom süssen Sauternes des Château d'Yquem und einigen deutschen edelsüssen Weinen erreicht werden. Rotwein erringt südlich der Stadt Beaune, dem Zentrum der gesamten Côte d'Or, nur noch Premier Cru-Status. Savigny, Pommard, Volnay, Auxey-Duresses, Meursault, St. Aubin und Santenay sind jedoch nicht minder renommierte Namen.
Die Region Chablis um das beschauliche Weindorf gleichen Namens liegt östlich von Auxerre, am Weg nach Paris. Als Modewein der 70er Jahre hat der Chablis eine grosse Karriere hinter sich. Damals als perfekter Fischbegleiter gepriesen und zu Traumpreisen exportiert, steht er heute in der Gunst der Bistro-Besucher hinter Loire-Weinen wie Sancerre und Pouilly-Fumé. Wie die weissen Reben der Burgunder-Familie wird er meist zu jung getrunken und kann seinen Reichtum nicht entfalten - sofern ein solcher vorhanden ist, was stark von Jahrgang und Boden abhängt. Vertrauenswürdig sind allein die Premier Crus und Grand Crus; die übrigen Weine trinkt man in der Tat besser jung und kühl am Tresen einer Kneipe. Die sieben Weinberge mit Grand Cru-Berechtigung aber, in der Jugend blassgelb mit blaugrünem Schimmer und von nervig-stahliger Struktur, überraschen den Geduldigen mit einem goldgelben Alterston und edlem Bukett. In guten Jahren können sie jedem Star der Côte d'Or die Schau stehlen, ohne durch ihren Preis zu schockieren.

Rebsorten, Charakter

In Burgund werden, anders als im restlichen Frankreich, Weine sortenrein gekeltert, seit Herzog Johann der Gute im 15. Jh. die unedle Verschnittrebe Gamay verbot. Die Rebsorten der "Burgunderfamilie", allen voran der Pinot Noir, bringen weltweit edelstes Rebgut hervor. Die weissen Sorten Pinot Blanc und Pinot Gris spielen allerdings an ihrem Ursprungsort keine Rolle mehr.

Pinot Noir

Die klassische Burgunder-Traube ist trotz ihrer frühen Reife sehr sensibel, was zu unregelmässigen Erträgen und Qualitäten führt. Behalf man sich deshalb früher mit Gamay und Aligoté als Zuschlag, um Ausfälle zu kompensieren, so erlaubt heute die moderne Weinberg- und Kellertechnik eine stabilere Produktion. Speziell die wenig ausgeprägte Farbe, die bei der Gärung noch an Intensität verliert, bedurfte früher der Aufbesserung, kann aber heute bewahrt werden. Säure ist dagegen reichlich vorhanden; die Tannine sind seidig und meist gut eingebunden. Das Grundmuster des Buketts erinnert jung an Kirschen und Himbeeren, reif dominieren erdige Noten. Der Geschmack ist würzig und konzentriert, aber doch elegant und ohne fett zu wirken. An der Côte de Nuits entsteht eher schwerer Wein mit pikantem, mineralischem Charakter; die Côte de Beaune erbringt blumigere, geschmeidige Kreszenzen.

Chardonnay

Obwohl nicht zur Burgunderfamilie gehörig, ist er der renommierteste Spross der Region. Alle hochwertigen weissen Burgunder stammen von dieser Rebsorte, die mittlerweile weltweit Standards setzt. Der Chardonnay lässt verschiedenste Böden, Klimate und Ausbaumethoden zu. Während Exoten meist konzentriert und bukettreich ausfallen, präsentiert sich weisser Burgunder schlank und elegant, in der Jugend fruchtig, nach reifen Äpfeln duftend; im Alter dominieren Butter, Nüsse und Honig. In Chablis und Macon, wo er nicht im Holz reift, erhält er sich eine stahlige Säure, die ideal mit in Butter gebratenem Fisch harmoniert.

Aligoté

Burgundische Weissweinrebe, die als DOC-Wein "Bourgogne Aligoté" in den Handel gelangt. An der Côte d'Or ist sie nur geduldet, um den Ertrag zu stabilisieren. Der Wein wird oft mit Cassis, dem Likör der schwarzen Johannisbeere, zu dem Aperitif "Kir" aufgegossen.

Gamay

Weniger edle und lagerfähige, aber pflegeleichte Rebsorte, die früher als Verschnitt zugesetzt wurde. Weiter südlich gewinnt sie an Bedeutung; im Beaujolais ist sie Massenträger. Neben der tiefvioletten Farbe ist sie für den Kaugummigeschmack einfacherer Qualitäten verantwortlich. Im Burgund wird in weniger teuren Lagen der Gamay/Pinot Noir-Cuvée "Passetoutgrain" erzeugt.

Klassifizierung

So übersichtlich die Geographie der Côte d'Or ist, so kompliziert und konservativ sind die agronomischen Strukturen, in denen der Wein erzeugt und sein Charakter geprägt wird. Die Klassifizierung bezieht sich nur auf Lagen, nicht auf Erzeuger, und ist recht eigenwilllig: Über dem Premier Cru steht der Grand Cru, ohne dass, wie im Medoc, eine Numerierung die Hierarchie verfeinert oder, wie in St. Emilion, turnusmässig Neubewertungen durchgeführt würden. Unterhalb der Cru-Lagen figurieren die Ortsappellationen. Schliesslich folgt die regionale AC Bourgogne, in der Aligoté und Passetoutgrain auf den Plan treten, aber auch das hochgelegene Randgebiet der Hautes Côtes de Beaune/Nuits. Diese Gliederung erscheint einfach, vermittelt aber wenig Information. Die grobe Abstufung verschleiert markante Qualitätsunterschiede, die nicht, wie sonst üblich, mit den Preisen korrespondieren.

Clos de Vougeot

Auf der Fahrt nach Süden passiert man zwischen Chambolle und Vosne den Clos de Vougeot (Bild), den wohl berühmtesten Weinberg der Region. Das 50 ha grosse Areal wurde im 12. Jh. von Zisterziensermönchen eingegrenzt und mit einer gewaltigen Kelterei, noch heute eine Attraktion, bebaut. Der Begriff Clos, "das Abgeschlossene", bezeichnet einen ummauerten Weinberg. Die Mauer schützt nicht nur vor unberechtigtem Zugang, sondern auch vor bodennaher Zugluft und Ausschwemmung der Krume. Diese traditionelle Massnahme belegt, dass nicht allein die Gunst von Klima und Boden Burgund an die Weltspitze führte, sondern das jahrhundertealte Wissen der Winzer vom Umgang mit den Ressourcen der Natur. Die Mönche forcierten den Weinbau nicht in erster Linie, um ein Luxusgut zu gewinnen, sondern weil der Alkohol dieses Getränk keimfrei hielt, im Gegensatz zum oft verseuchten Trinkwasser.

 

Der Clos de Vougeot, in seiner Gesamtheit eine Grand-Cru-Lage, teilt sich heute unter 80 (in Worten: achtzig!) Besitzer auf. Hieran wird die ganze Problematik des burgundischen Weinbaus deutlich. Die durchschnittliche Grösse eines Weingutes beträgt 5 ha, im Gegensatz zu 50 ha in Bordeaux. Die Winzer, ob klein oder wohlhabend, residieren in Domaines, einfachen Bürgerhäusern oder Gehöften im Dorf; ist ein Château vorhanden, so stammt es tatsächlich aus dem Mittelalter. Die Zersplitterung des Besitzes ist eine Erblast der Revolution, die das Land von Klerus und Adel den Bauern zusprach, die es bewirtschafteten. Napoleons späterer Beschluss, das Land sei zu gleichen Teilen an alle Kinder zu vererben, verschlimmerte dieses Übel: Entspricht die Karte von Bordeaux einem grossflächigen Patchwork mit klaren Grenzlinien, so beschreiben die Grundbücher Burgunds einen Flickenteppich aus Aren und Rebzeilen. Der Besitz einer Domäne ist in der Regel über alle Berge verstreut, oft auch in Nachbarorten. Jede dieser Parzellen wird, zumindest in besseren Lagen, einzeln vinifiziert, was sicher nicht mässigend auf das Preisniveau wirkt. Unterschiede in Boden und Exposition sind auch innerhalb einer Lage wie dem Clos de Vougeot so markant, dass homogene Qualität ein Wunschtraum bleiben muss. Würde ein Schlossherr des Bordelais aus dem Ertrag lediglich einen Erst- und einen Zweitwein produzieren, so hat hier noch die dürftigste Parzelle das Recht, als Grand Cru vermarktet zu werden, sofern sie innerhalb der Mauern liegt.

Die Konkurrenz in Bordeaux verfügte, bei gleichwertiger Bodenqualität und günstigerem Klima, über bessere Handelswege. Hatte man von dort seit dem Mittelalter Wein nach England verschifft, so blieb für den Burgunder nur ein kleiner Binnenmarkt, bis im 18. Jh. die Strassen besser wurden. Jetzt entstanden die ersten Handelshäuser, die den Wein in Flaschen abfüllten und für europaweiten Vertrieb sorgten: Bouchard, gegründet 1731, und Champy (1720) existieren heute noch. Diese "Negociants-Eleveurs" kaufen den Winzern Trauben und Jungweine ab und bauen sie selbst aus, was in Bordeaux undenkbar wäre. Erst seit den 1930er Jahren begannen renommierte Erzeuger mit Domänenabfüllungen, die heute mehr als die Hälfte des Marktes bestreiten. Weniger gut ausgebildete Kleinabfüller, aber auch verkrustete Traditionalisten sorgen heute dafür, dass eine gute Lage noch lange keinen guten Wein garantiert.

In der Weinbereitung ist die burgundische Tradition ebenfalls ein zweischneidiges Schwert. Als Louis Pasteur sein Verfahren der Kurzzeit-Erhitzung auf 80° erfand, konnten die Winzer damit ihren Wein stabilisieren; zugunsten besserer Lagerfähigkeit nahm man Aromaverluste in Kauf. Heute erlaubt der hygienische Standard den Verzicht auf Pasteurisierung, aber dennoch halten sogar renommierte Domänen daran fest. Auch das Filtern und Schönen der Weine behauptet sich nirgends so unumstritten wie in Burgund. Ohne die Experimentierfreude junger Winzer wird unklar bleiben, welche Einbussen an Charakter und Struktur damit in Kauf zu nehmen sind. Deshalb kann nicht die Tradition, sondern nur moderne Forschung, Technik und Ökonomie den Burgunder vor der weltweiten Konkurrenz bewahren. Allein die Spitzenweine sind sichere Adressen, weil hier dank der exorbitanten Preise einerseits der Einsatz von Kapital und Know-how gewährleistet ist und andererseits der Druck öffentlicher Kritik regulierend wirkt.

Warum also sollte ein vom Run auf grosse Namen unbelasteter Weinliebhaber Burgunder kaufen? Die hiesigen Edeltrauben Pinot Noir und Chardonnay wachsen auf dem ganzen Erdball zu hochwertigen Tropfen heran. In Australien werden ungepfropfte Weinstöcke ohne die Geissel der Reblaus bis 150 Jahre alt und liefern faszinierende Kreszenzen. In Chile, das ebenfalls von der Reblaus verschont blieb, sitzen die nachgeborenen Söhne von Bordeaux-Winzern, die ihre Kompetenz in die Neue Welt exportierten. In Kalifornien liegt Napa Valley gleich neben Silicon Valley: Technologie regiert in Weinberg und Keller. Sie verschafft allerdings den dortigen Weinen oftmals von allem zuviel, was einen Wein gut macht, sei es Bukett, Extrakt oder Alkohol.
Burgunder sind subtiler: Die Notwendigkeit, aus den begrenzten Mitteln der Landschaft das Optimum herauszuholen, wird von den besseren Domänen in perfekter Manier und mit der notwendigen Zurückhaltung umgesetzt. Der Reichtum des Traubengutes mündet so nicht in banale Wucht, sondern in vollendete Fülle und Eleganz. Dies erkennen und würdigen zu können, verlangt allerdings neben viel Übung auch ein krisenresistentes Bankkonto.


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Klaus Minges · Mail: klausminges@yahoo.com · Web: www.minges.ch