Klaus Minges: Texte


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... etwas anders

Nachdem ich in den letzten Newslettern den Weg vom inneren ins physische Exil beleuchtet habe, nun noch ein paar Verbeugungen vor meiner neuen Heimat Südafrika, und zwar aus dem Blickfeld der Naturgeschichte. Immerhin ist der Tafelberg vor meinem Fenster fast eine halbe Milliarde Jahre alt. Da kommt man ins Grübeln: Wie kam das alles?

Der Mega-Kontinent Gondwana ist bekanntlich in der Jurazeit von den Sauriern in Stücke getrampelt worden, und die neuen Erdteile machten sich auf den Weg: Südamerika nach Westen, Australien nach Osten, Italien nach Norden, die Antarktis nach Süden, zentrifugal. Wo also war der Mittelpunkt? Richtig: Hier in Kapstadt, genau wo ich gerade sitze. Die Falklands lagen vor Port Elizabeth, als Madagaskar ablegte mit der Pest an Bord. Indien war schon unterwegs, so schnell, daß es gegen Asien krachte, den Himalaya auftürmend. Zuletzt machte Südamerika los und nahm auf ganzer Breite Speed auf – ein unscheinbarer Riß gähnte sich zum Rang eines Ozeans.

Künstler unbekannt, Deutschland;

Künstler unbekannt (Deutschland): Die Capstadt 1750

Als Gleitfläche dienten die präkambrischen Schiefer von Robben Island, das einst begraben lag von Sediment, kilometerdick, versteinert. Entlastet von der Grabplatte Südamerika und aufgestiegen gen Meeresspiegel, als schwarzglänzender Steinbruch; schließlich von Nelson Mandela, dem Erlöser und Propheten, in handliche Platten gehauen, auf denen das neue Gesetz geschrieben steht.

Der Tafelberg ist der Rest jener Kante, von der Südamerika abgebrochen ist. Seine Nordwand ragte schon gen Himmel, als der Eiger noch krümelweise das Ur- Mittelmeer verdreckte! Während Europa langsam verkalkte und sich in Falten legte, versuchten in Afrika die letzten Saurier, als Pseudo-Säugetiere ihrem Schicksal zu entrinnen. Sie hatten offenbar erkannt, wem in Zukunft die Welt gehören würde, legten sich ein Fell zu und nannten sich "mammal-like Reptiles". Die eierlegende Wollmilchsau könnte es damals wirklich gegeben haben! Ein paar dieser Kreaturen verschluckten sich an einem spätgondwanischen Binnenmeer namens Ecca-Sea und bevölkern jetzt als Fossilien die Halbwüste Karoo; deshalb wissen wir das so genau.

Als alle übrigen Kontinente weg waren, mußte die ihres Auslaufes beraubte Pflanzenwelt am Kap feststellen, daß der hiesige Sandsteinboden sauer war, und damit auch das Leben. Das Klima wurde rau und windig, aber der Wind brachte Salz statt Löß. Und dann noch dies: Vor ein paar Millionen Jahren beschloß urplötzlich der Benguela-Strom im Atlantik, er müsse ab jetzt das kalte Antarktis-Wasser direkt an der Westküste Afrikas vorbeibringen - eine Umweltkatastrophe, gegen die El Niño wie ein neugeborener Säugling aussieht. Ergebnis: Die Wüste Namib, der breiteste Sandstrand der Welt. Und südlich davon, am Kap der Stürme, nichts als Streß, systemgeneriert. Aber Streß hält wachsam. Jede ökologische Nische wurde ausgenutzt, und es entstand eine Artenvielfalt, die weltweit ihresgleichen sucht, eben die Kapflora. Eines von nur sechs Florenreichen auf der Welt, auf 0,04% der Landfläche! Und der Benguela hat auch heute noch sein Gutes: Fisch im Überfluß, und damit Seevögel, Robben und Wale.

Bei Johannesburg gibt es eine höhlige Gegend, die man "Cradle of Humankind", die Wiege der Menschheit nennt. Pathetisch, aber zu Recht: Knochenfunde aus fast allen Stadien der Menschwerdung konnte man da aufsammeln, vom Australopithecus bis zum Homo sapiens.
Nördlich von Kapstadt haben sich an einem versteinerten Strand Fußabdrücke einer jungen Dame erhalten, welche als "Eve's Footprints" in die Wissenschaft eingingen. Eva könnte heute ihren 107tausendsten Geburtstag feiern - wenn ihr nicht im Jahre 5004 vC die Erbsünde dazwischen gekommen wäre*.
So wurde sie immerhin die Ahnfrau der Buschleute des südlichen Afrika, heute despektierlich San genannt. Diese schmächtigen Wildbeuter haben zwar bis heute nicht aus der Steinzeit herausgefunden, aber wozu auch? In ihrem Job waren sie deutlich erfolgreicher als Neanderthaler und Cromagnon: Während in Europa die Gewalt herrschte, mann mit brachialer Kraft seinen Speer schmiß oder das Wildschwein von Hand niederrang, haben die Buschleute aus all den Pflanzen und Käfern ein gutes Pfeilgift entwickelt und brauchten ihrer Beute nur die Haut zu ritzen. Mit dieser Technik konnten sie klein bleiben und trotzdem ihre einfache, solidarische Lebensweise bis ins 20. Jh. retten, während überall sonst Besitzdenken und Neugier entstanden, nur um damit gutgemeinte Ideen wie den Sozialismus zum Scheitern zu bringen.

Buschleute haben Vieh geraubt und werden von einem Burenkommando verfolgt

Und dann ihre Kunst: Erfunden vor 74'000 Jahren in einer Höhle an der Südküste namens Blombos Cave, auf einem Stück poliertem Ocker. (Den Namen Bilzingsleben** kann hier keiner aussprechen.)
Den Teufel an die Wand gemalt haben die San erstmals vor 27'000 Jahren in Namibia, geholt wurden sie von selbigem in den Drakensbergen um 1870, nicht ohne die Ereignisse auf bewährte Weise dokumentiert zu haben (s. Bild) - wobei sich der bocksbeinige Meister als Jünger des Herrn ausgab (wie er das auch heute noch tut): Die Buren beriefen sich auf das Buch Josua im alten Testament, in dem die Israeliten die Kanaaniter niedermetzeln. Sie seien eben das auserwählte Volk und dürften das.

Aber der Unfrieden ist in diesem heute randständigen Teil der Welt vorbei. Verschont von Tsunami und Al Qaida, hat Südafrika den Indischen Ozean und die Karibik als sicherste Destination abgelöst. Als Demokratie sind wir sicher vor den Amis, als Wirtschafts- und Rohstoffsupermacht sicher vor IWF und OPEC. So kann es noch eine Weile weitergehen.

* ... nach der Schöpfungsdatierung eines britischen Bischofs der frühen Neuzeit, die an vielen Schulen unserer globalen Führungsmacht heute wieder Lehrmeinung ist.
** altsteinzeitlicher Fundort von Artefakten in der ehemaligen DDR, von der westlichen Wissenschaft kaum wahrgenommen.


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Klaus Minges · Mail: klaus@minges.ch · Web: www.minges.ch